Whistleblowing und öffentlicher Dienst? Ja, denn trotz der Verschwiegenheitspflicht von Beschäftigten und Beamten ist die Weiterverbreitung von Insiderwissen oder dienstlichen Interna eine durchaus gängige Problematik. Da bei beobachteten Rechtsverstößen eine Meldung nur über den einzuhaltenden Dienstweg erfolgen kann und die aktuellen Gesetzesgrundlagen in der Bundesrepublik sowie anderen europäischen Staaten zumeist unterschiedliche Bewertungsgrundlagen enthalten, ist die Umsetzung der neuen EU-Whistleblower-Richtlinie eine nicht zu unterschätzende Aufgabe, welche Anfang Juli zum Anlass einer vom Deutschen Beamtenbund (dbb) organisierten Podiumsdiskussion wurde. Die neue EU-Richtlinie, die im Dezember 2019 beschlossen wurde, muss bis zum 17. Dezember dieses Jahres in die deutsche Rechtsprechung integriert werden. Wesentlicher Kern der europäischen Verordnung ist eine Bereitstellung von Meldekanälen für behördliche und kommunale Einrichtungen in Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern.
Beamtenbund fordert umfassende Schutzmechanismen
In seinen Eingangsworten zur Diskussionseröffnung forderte der Vize-Vorsitzende des dbb, Friedhelm Schäfer, bei nicht beachteten Meldungen auf dem Dienstweg zu Rechtsverstößen von Whistleblowern/- innen innerhalb des öffentlichen Dienstes geordnete Verfahrenswege mit umfangreichen Schutzmechanismen. Der dbb befürworte eine komplexe und zügige Umsetzung der EU-Vorgaben in Deutschland, so Schäfer. Hierzu sei es notwendig, den Anspruch auf Schutz bei Verstoßmeldungen gegen EU-Rechtsbestimmungen auf Verstöße gegen deutsches Recht auszuweiten. Der dbb-Vize verwies auf die in der Bundesrepublik spezifisch geltenden Bestimmungen des Berufsbeamtentums und die darin beinhaltenden Regelungen zur Einhaltung des Dienstweges. In diesem Zusammenhang bedürfe es beamtenrechtliche Ausnahmerichtlinien, da aufmerksame Informationsgeber und Informationsgeberinnen aus den Reihen des öffentlichen Dienstes ein verantwortungsbewusstes Handeln an den Tag legen würden, welches im Umkehrschluss den eigenen Interessen einer staatlichen Verwaltung zugute nütze.
Zwischen Geheimhaltung und Transparenz
Dr. Nico Herold, Jurist von der Ludwig-Maximilians-Universität in München, erörterte in der Folge die aktuellen Rechtsgrundlagen für den Bereich des öffentlichen Dienstes bei Informationsmeldungen zu Rechtsverstößen durch Beschäftigte. Der Rechtsexperte ist seit Jahren ein kompetenter Analyst für das Thema Whistleblowing und verwies in seinen Ausführungen auf die besonderen Umstände des Berufsbeamtentums mit seinen hergebrachten Grundsätzen und den daraus resultierenden Rechtsnormen. Beamtinnen und Beamte befänden sich in derartigen Situationen nahezu automatisch in einer Art Zwickmühle zwischen einem hochgestellten Interesse der Geheimhaltung und einer allgemein erwarteten Transparenz. Einerseits bestünde für die Betroffenen das öffentlich rechtliche Dienst- und Treueverhältnis, welches gegenüber dem Dienstherrn eine spezifische Loyalitäts- und Verschwiegenheitspflicht verlange – auf der anderen Seite müsse das rechtsstaatliche Prinzip mit dem Einsetzen für die freiheitlich demokratische Grundordnung sowie die Treue zur Verfassung mit der ausgewiesenen Handlungs- und Meinungsfreiheit beachtet werden.
Der bei den verbeamteten Zeugen und Zeuginnen von Missstandsfällen im öffentlichen Dienst habe bisher einen rechtlichen Umgang mit Whistleblowing-Situationen erschwert und die gängige Praxis zur Einhaltung des Dienstweges aufrecht erhalten, so Dr. Nico Herold. Die Pflichten der Beamtinnen und Beamten würden das Einschalten externer Stellen wie der Öffentlichkeit, der Medien oder der Strafverfolgungsbehörden verhindern. Da es in Deutschland keine zentrale Gesetzesvorschrift für den Bereich des Whistleblowing gäbe, sind Juristen und besonders die Zeugen/- innen von Verstößen nur bedingt in der Lage, die Einzelfallerörterungen entsprechend zu beurteilen. Herold plädierte dafür, mit der jetzigen Umsetzung der EU-Richtlinie einen weitreichenden Wirkungskreis zu schaffen, welcher den deutschen Beamtinnen und Beamten zukünftige Handlungssicherheit, aber auch Schutz gewährleistet.
Das Wahlrecht des Hinweisgebenden ausdrücklich etablieren
Rechtsexperte Herold möchte besonders das in der EU-Richtlinie enthaltene Wahlrecht des Hinweisgebenden in die neu zu fassenden Gesetzesvorschriften integriert sehen. Hiernach soll der Informationsgeber oder die Informationsgeberin frei wählen können, an welche Stelle der Hinweis zu mutmaßlichen Rechtsverstößen erfolgen soll. Ein Punkt, der gerade Behörden und Unternehmen Kopfschmerzen bereitet, da diese befürchten, dass in der Zukunft viele Interna den Weg in die Öffentlichkeit finden. Whistleblowing-Experte Herold widersprach dieser These, da durchgeführte Studien belegen, dass Missstände in rund 80 Prozent der Fälle intern zur Behandlung gelangten und niemand in einem derartigen Zusammenhang ein gesteigertes Interesse daran habe, die Öffentlichkeit hinzuzuziehen.
Nur in Ausnahmefällen, in denen Whistleblower/- innen keinerlei Gehör fanden oder durch drohende Einschüchterungsmaßnahmen keinen anderen Ausweg mehr sahen, wurde die Öffentlichkeit gesucht. Die internationalen Forschungsergebnisse würden eindeutig belegen, dass ein externes Whistleblowing immer nur das Resultat eines unzulänglichen internen Umgangs mit den Vorfällen sei. Noch könnten sich in der Bundesrepublik die Beamten und Beamtinnen nicht auf die EU-Richtlinie zum Whistleblowing berufen, doch auch Dr. Nico Herold plädierte für eine zügige Umsetzung in die nationale Rechtsprechung.
Besserer Schutz für Hinweisgebende
Der frühere Erste Polizeihauptkommissar Thomas Dombek war beim Landeskriminalamt Niedersachsen im Bereich der Korruptionsbekämpfung tätig und schilderte auf der Podiumsdiskussion seine jahrelangen Erfahrungen mit dem Whistleblowing. Hierzu erklärte er, dass im Land Niedersachsen bereits seit dem Jahr 2003 ein anonymes Hinweisgebersystem eingerichtet wurde, bei dem „online“ im Durchschnitt einmal täglich eine entsprechende Meldung über Rechtsverstöße eingehen würde. Korrekt übermittelte Missstandsmeldungen würden in diesem System eine einhundertprozentige Anonymität der Meldenden gewährleisten, da das Hauptinteresse des Landeskriminalamtes in erster Linie den erhaltenen Informationen gilt.
Hieraus ergeben sich die Nachforschungen zu Anhaltspunkten für eine Straftat, die ausschließlich den Ermittlungsbehörden obliegen, so Dombek. Der Faktor, dass nicht jeder Hinweisgeber oder jede Hinweisgeberin mit seiner Informationsmeldung auch ehrwürdige Absichten verfolgen würde, sollte allerdings unbedingt beachtet werden. Missgunst, Neid oder die Verschaffung eigener Vorteile seien Motivationen für die Übermittlung falscher Verstöße. Der pensionierte Kriminalbeamte sprach sich dafür aus, dass ein tragfähiges „Whistleblowergesetz“ in jedem Fall den Schutz der einzelnen Hinweisgeber/- innen stärken und sicherstellen müsste. Zudem sollte die Gesetzgebung auch die Auswirkungen berücksichtigen und aufzeigen, welche für die jeweils betroffenen Dienststellen, Behörden oder Betriebe vor Ort entstehen würden.
EU-Richtlinie zu Whistleblowern auf Betreiben der Grünen im EU-Parlament
Der Sprecher der bundesdeutschen Grünen im EU-Parlament, Sven Giegold, verwies bei der Diskussion darauf, dass die neue Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern auf Betreiben der europäischen Grünen zurückgehe. Anlass war laut Giegold, die vermehrte Beobachtung einer staatenübergreifenden Ohnmacht bei der Aufklärung krimineller taten oder der Begegnung gegenüber verfestigten kriminellen Strukturen. Eine erfolgversprechende Aufklärung derartiger Sachverhalte gelang zumeist nur durch die Mithilfe von Whistleblowern oder Whistleblowerinnen. Der Schutz dieses Personenkreises stand bei der Formulierung der EU-Richtlinie im Vordergrund und es galt zu vermeiden, dass diese durch ihre Hinweise nicht noch Nachteile in Kauf hätten nehmen müssen.
Giegold betonte, dass die Ausarbeitung und Verabschiedung der Richtlinie für europäische Verhältnisse äußerst zügig vonstattengegangen sei, umso bedauerlicher sei der Umstand, dass eine fristgerechte Umsetzung in die deutsche Gesetzgebung augenscheinlich bis zum Jahresende wohl nicht mehr erreicht werden könnte. Das niedersächsische Modell sei aus Sicht des Europapolitikers Giegold wegweisend, doch leider wären andere Bundesländer diesem Beispiel nicht gefolgt. Aus europäischer Sicht bliebe festzuhalten, dass die Regel gelte: Europarecht bricht nationales Recht. Ein eigenständiges deutsches „Whistleblower-Gesetz“ hätte den Vorteil, dass viele andere Berücksichtigungen und Expertisen in dieses einfliessen könnten und Giegold hob hervor, dieses einen „Nachteilsausgleichsfonds“ zu integrieren, um Hinweisgeber/- innen bei Problemen wie beispielsweise dem Verlust des Arbeitsplatzes entsprechende Hilfestellungen gewähren zu können.
Weiterführende Quellen zu diesem Thema
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