Zuletzt aktualisiert am 29.08.2024 um 12:51 Uhr, Geschätzte Lesezeit: 3-4 Minuten
Lernen nach Gehör – eine Lernmethode, die sehr umstritten ist. Die meisten Grundschulen halten sich noch strikt an diese Praktik, Grundschülern das „Lesen durch Schreiben“ beizubringen. Verzweifelte Eltern hoffen auf ein Umdenken bei der Bildungsreform und die CDU von Rheinland-Pfalz will das Konzept im Falle eines Wahlsieges im März abschaffen.
Können wir noch richtig schreiben?
2013 hat der Germanistikprofessor Wolfgang Steiner durch Vergleich von Schulaufsätzen von Viertklässlern herausgefunden, dass sich die Rechtschreibung seit den 70er-Jahren verschlechtert hat. Aus einer siebenprozentigen Fehlerquote um 1972 wurden im Jahr 2012 siebzehn Prozent. Grundschüler schreiben zwar kreativer, die Aufsätze enthalten aber deutlich mehr Rechtschreibfehler.
Lesen durch Schreiben
Vor 15 Jahren hat sich die von dem Schweizer Reformpädagogen Jürgen Reichen entwickelte Methode in allen Bundesländern etabliert. Sie soll zu frühen Erfolgen beim Lesen führen und basiert auf dem Gedanken, dass Kinder durch das Schreiben zwangsläufig lesen lernen. Mithilfe einer Anlauttabelle schreiben die Schüler die Worte so wie sie sie hören. Die Kinder dürfen ausprobieren und werden nicht korrigiert. Dabei malen sie die Laute der passenden Bilder ab und verbinden sie zu einer Klangkette. „Hut“, „Apfel“, „Sofa“ und „Esel“ fügen sich auf diese Weise melodisch zu einem niedlichen Kuscheltier zusammen. Ein türkisches Kind würde intuitiv zu einem anderen Ergebnis kommen, wenn es „Åžapka”, “Elma”,”Kanepe” und “EÅŸek” zu einem Wort zusammensetzt, das nicht in seinem Repertoire vorkommt und auch dort nicht hingehört.
Fehlerteufel sind eingeplant
Es solle vor allem Spaß machen und Kinder motivieren. Und wie erhofft entwickelt jedes Kind seinen individuellen Wortschatz nach Gehör. Da ein Einmischen der Eltern nicht gerne gesehen ist, wird nichts korrigiert. Schreibteufel wie „Fakeufa“ oder Zanarts brennen sich in die kindlichen Schreibtalente ein. Eltern und Lehrern höherer Klassen graut es beim Anblick der phantasiebegabten Talente. Was sich in den ersten beiden Grundschulklassen toll anfühlt, wird in der dritten Klasse benotet, in der vierten kritisch hinterfragt, und am Gymnasium als Lese-Rechtschreibschwäche diagnostiziert. Privatschulen bieten gezieltes Rechtschreibtraining dafür an und freuen sich über die vollen Auftragsbücher.
Frust statt Lust
Und nach der anfänglichen Freude macht sich Frust und Unlust breit. Eltern, insbesondere Mütter mit guten Rechtschreibkenntnissen, sind in vielleicht in der Lage, die Situation durch feinfühliges Training zu retten. Spätestens jetzt liegt der Duden auf dem Tisch, werden fleißig Karteikärtchen geschrieben und deutlich und langsam gesprochen, wenn das Kind zum Diktat gebeten wird. Auch mustergültiges Vorlesen hilft, das Kind zum selbständigen Lesen zu motivieren. Denn Kinder, die viel lesen, sind einfach besser in der Rechtschreibung, weil sie den Zusammenhang von Schrift und Sprache kennen.
Regelfehler oder Wahrnehmungsfehler?
Pech haben die Kinder, deren Eltern keine Zeit für zusätzliche Übungsstunden haben und sich keine privaten Nachhilfestunden leisten können. Denn Diktate werden nur noch vier bis sechs pro Schuljahr geschrieben und die Liste der Lernwörter auf höchstens 60 beschränkt. Aber was tun, wenn die elterliche Unterstützung nicht möglich ist? Schüler aus bildungsfernen Familien, aus Regionen mit starkem Dialekt oder Kinder mit Migrationshintergrund werden nur schwierig ihre Defizite ausgleichen können. Wer betreibt dann die Fehleranalyse, erklärt die richtige Anwendung der Rechtschreibregel, beseitigt Ableitungs- und Wahrnehmungsfehler?
Das Schreiben nach Gehör ist ein haarsträubendes Konzept, das Bildungsfortschritte behindert, die soziale Ungleichheit verstärkt und angesichts der Migrationswelle nicht mehr zeitgemäß ist.
Es gibt eine alte Volksweise, die zum Dogma der Hirnforschung erhoben wurde und hier Anwendung findet:
„Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“.
Die meisten Lehramtsstudenten schaffen es nicht mehr, ein paar Sätze fehlerfrei zu schreiben. Das stellt doch alles auf den Kopf. Wie auch den altbewährten Spruch:
„Aus felan wirt man gluk!“
Weiterführende Quellen:
- welt.de: Eine Mutter wütet gegen “Fata” und “Muta”
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