Zuletzt aktualisiert am 04.10.2024 um 20:51 Uhr, Geschätzte Lesezeit: 3-4 Minuten
Wir sind ein reiches Land. Trotzdem hören sich die Prognosen nicht gut an. „Ab 2030 soll jeder zweite Neurentner von der Altersarmut betroffen sein.“ „Eine Gesellschaft, die immer älter wird, wird auch länger arbeiten müssen.“ „Noch sind die Renten sicher, weil der Arbeitsmarkt gut funktioniert“. „Immer mehr Menschen über 64 Jahren – vor allem Frauen – erhalten vom Staat Geld aus der Grundsicherung, weil das Einkommen nicht für das Existenzminimum reicht“.
Ich hatte nie Angst vor dem Alter. Hatte ich doch das Bild mit dem Kreuzfahrtschiff vor Augen. Ein Schiff – voll gepackt mit rüstigen, unternehmungslustigen Rentnern, die auf ein anständiges finanzielles Polster zurückgreifen können.
Mein Vater, Angestellter im öffentlichen Dienst hat es vorgelebt: 4 Kinder mit Studium, große Mietwohnung, Betriebsrente. Er hat 45 Jahre im gleichen Betrieb gearbeitet. Das Geld wurde angespart und zusammengehalten. Mit 87 noch rüstig, kann er sich allerhand leisten. Er versorgt sich zu Hause. Wäre er auf Betreuung angewiesen, würde es allerdings knapp werden.
Die Schwiegermutter, Postbeamtin, zwei Kinder mit Studium, großes eigenes Elternhaus. Auch sie hat 45 Jahre gearbeitet. Mit 86 kann sie sich einen Platz in einem freundlichen Altenheim leisten. Ihre Pension reicht aus und es bleibt noch etwas übrig. Das Haus ist vermietet, die Kinder streichen sich die Erträge ein. Die Beihilfe wird den höheren Kostensatz im Heim übernehmen, wenn sich die Pflegestufe erhöht.
Der gemeinsame Schulfreund hat auch 45 Jahre durchgehend gearbeitet. Ohne betriebliche Altersversorgung. Er hat seine kleine Eigentumswohnung unter Preis verkauft, weil er und seine Frau pflegebedürftig sind. Der Aufenthalt hat seine gesamten Ersparnisse aufgezehrt. Wenn das Geld nicht reicht, werden seine Kinder für die fehlenden Kosten aufkommen müssen.
Weitere Aussichten: schlecht
Die nächste Generation wird sich diesen Standard gar nicht mehr leisten können. Das geflügelte Wort „Altersarmut“ wird nicht nur herumgeistern. Es wird Gestalt annehmen. Das Kreuzfahrtschiff wird für immer im Hafen festmachen. Und Heerscharen von Rentnerinnen und Rentnern werden sich in den sozial geförderten Wohnungsbau zurückziehen. Sie werden an der gemeinsamen Tafel speisen, die gutsituierte Pensionäre ehrenamtlich für sie eindecken.
Den sogenannten „Eckrentner“, der 45 Jahre als Angestellter oder Arbeiter seinem Betrieb treu geblieben ist, wird es nicht mehr geben. Er ist ohnedies nur eine statistische Größe, an der sich die Renten bemessen. Er wird an Größe verlieren, weil sich die Arbeitsverhältnisse verändern. Letztendlich werden wir, die schlechte Jobs, niedrige Löhne und befristete Arbeitsverträge hervorbringen, an den Pfeilern des Eckrentners sägen.
Tendenz: steigend
Bis 70 durchhalten? Wir werden noch länger arbeiten müssen, da eine Welle altersarmer Rentner auf uns zurollt. Verkraften kann das nur, wer gesund ist und einen Beruf ausübt, in dem man lange durchhalten kann. Alleinerziehende oder Mütter, die wegen ihrer Kinder zu Hause geblieben sind, können es gar nicht schaffen, 45 Jahre in die Rentenkasse einzuzahlen. Resultat: Ihre Rente wird unter der Grundsicherung liegen. Pfleger, Einzelhändler, Friseure, Gebäudereiniger – die Liste ist länger – werden ein Leben lang hart arbeiten, um im Alter ein Leben am Existenzminimum zu fristen.
Privileg erster Klasse
Beamte, die unter der Alimentationspflicht des Staates behütet altern, dürfen getrost einer vielversprechenden Zukunft entgegensehen, das Kreuzfahrtschiff unter sich aufteilen und den beschaulichen Heimplatz anvisieren. Die Rede ist von 2 Millionen privilegierten Arbeitnehmern – unkündbar, von der Sozialversicherung befreit, private Krankenversicherung. etc. Sie haben sich einen durchschnittlichen Pensionsanspruch von 2730,- € erarbeitet. Der Arbeitnehmer erhält nach 45 Berufsjahren weniger als die Hälfte. Brutto! Zwei Eckrentner haben statistisch den Wert eines Pensionärs.
Der Arbeitsmarkt erwartet heutzutage eine hohe Flexibilität vom Mitarbeiter. Viele Beschäftigte sind selbständig, in Teilzeit oder in kreativen Berufen tätig. Es gibt immer mehr Mischsysteme aus Festanstellung, Home Office, Freiberuflern und Minijobs. Sie haben keine oder nur eine unzureichende Altersversorgung. Denn sie werden vom Rentensystem nicht erfasst. Zwei von drei tragenden Säulen der Vorsorge fallen für sie weg. In diesem Fall über das dritte Standbein – die private Vorsorge – nachzudenken, klingt bei Niedriglöhnen und unregelmäßigen Einkünften irgendwie absurd.
Das starre Rentensystem ist nicht mehr zeitgemäß. Das Zeitalter der Digitalisierung hat die Arbeitswelt revolutioniert. Das Rentensystem ist allerdings geblieben. Der Wähler wird am Ende entscheiden, ob er die wohlgerundeten Diäten der Politiker und den Beamten, der keine hoheitlichen Aufgaben wahrnimmt, weiter finanziert. Denn der Steuerzahler muss für die Pensionslasten aufkommen. Auf Dauer wird diese große Schere keine Akzeptanz finden. Wir werden über eine gerechte, steuerfinanzierte Rente für alle nachdenken müssen.
Die Welt hat sich bereits verändert. Jetzt ist es an der Zeit, das System den Veränderungen anzupassen.
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