Zuletzt aktualisiert am 29.08.2024 um 8:51 Uhr, Geschätzte Lesezeit: 4-5 Minuten
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie haben auch im Bildungsbereich deutliche Spuren hinterlassen. Seit über einem Jahr pendeln die Schülerinnen und Schüler zwischen Präsenz- und Distanzunterricht. Unter den ständigen Wechselmaßnahmen sowie den entsprechenden Lockdowns sind nahezu überall Lehrpläne und Lernstoffe auf der Strecke geblieben. Etliche Konzepte sollen nun dafür sorgen, dass Rückstände aufgeholt werden können, um die schwerwiegenden, immer noch nicht absehbaren Folgen für den gesamten Bildungsbereich aufzufangen.
Uneinigkeit bei den Verantwortlichen
Wie man der Mammutaufgabe beim Bildungsrückstand durch die Corona-Pandemie entgegenwirkt, darüber herrscht wie bei vielen Konzeptionen und Maßnahmen in dieser Zeit erhebliche Uneinigkeit. Lehrer/- innen, Experten/- innen, Verbände, Elternbeiräte, die Bundesschülerkonferenz und die Politik haben verschiedene Modelle diesbezüglich aufgezeigt. Bei rund 20 Prozent aller Schüler/- innen hegt der Lehrerverband starke Zweifel daran, ob der verpasste Lernstoff überhaupt noch aufzuholen ist. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt auch eine kürzlich erhobene Studie vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW), die davon ausgeht, dass bei etwa 1,5 Millionen Schülerinnen und Schülern ein stark erhöhter Förderbedarf als Folge der Coronakrise entstanden ist. Die Studienanalyse beziffert den Nachholbedarf mit 100 Stunden pro Schüler/ – in und berechnete hierfür zusätzliche Förderkosten von insgesamt etwa 1,5 Milliarden Euro. Für entsprechende Nachhilfemaßnahmen hatte die Kultusministerkonferenz zuletzt rund 1 Milliarde Euro in Aussicht gestellt, wobei Länder und Bund bereits seit einigen Wochen über ein Maßnahmenpaket beraten.
Politische Konzepte – Nachhilfe in der Ferienzeit
Nach Auffassung von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sei es möglich, mit der angedachten Fördersumme von 1 Milliarde Euro zumindest den Bedarfsrückstand für die schulischen Kernfächer zu deckeln. Außerdem sprach sich die Ministerin dafür aus, die beabsichtigten Nachhilfemaßnahmen nicht in die Sommerferien, sondern in den Herbst zu verlegen. Aus den Reihen der von den Sozialdemokraten geführten Bundesländer kam hingegen der Vorschlag der betroffenen Schüler/- innen-Gruppe zusätzlichen Unterricht zu ermöglichen, welcher innerhalb eines gesamten Schuljahres auf zwei Wochen zu verteilen wäre oder innerhalb eines halben Schuljahres auf vier Wochenstunden. Einige Länderverantwortliche, so auch Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe (SPD), wollen an den Nachhilfemaßnahmen in den Sommerferien festhalten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) setzt auf ein Sieben-Punkte-Programm, um coronabedingte Lernlücken zu schließen. Im Kern stehen dabei eine Fördersumme von 40 Millionen Euro und die Einbeziehung von 3.000 Helfern wie zum Beispiel Studierende und pensionierte Lehrer/- innen, welche die zu fördernden Schüler/- innen unterstützen.
Bildungsexperten sprechen von Hilflosigkeit der Politik
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) begrüßte grundsätzlich die geplanten Zusatzangebote an den Schulen. Verbandschef Udo Beckmann erhob jedoch die Forderung, dass zeitliche Begrenzungen für derartige Maßnahmen zu unterlassen seien. Da nach Auffassung des Bildungsexperten Ulrich Kortenkamp, tätig an der Universität in Potsdam, der Corona-Stress vor allem auch den Schülern und Schülerinnen zugesetzt habe, wäre die dringend zur Erholung notwendige Ferienzeit der falsche Ansatz, um verpasste Lerninhalte aufzuholen. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt der Bildungsforscher Marcel Helbig vom Wissenschaftszentrum Berlin, der das Nachholen von Unterrichtsstoffen eines ganzen Schuljahres binnen kürzester Zeit stark anzweifelt. Dem bayerischen Konzept bescheinigte der Experte eine gewisse Hilflosigkeit, da eine solche Maßnahme kaum flächendeckend einzusetzen sei und die beschriebenen „Hilfskräfte“ kaum in der Lage seien abzuwägen, an welcher Stelle sie in der Praxis mit dem zu vermittelnden Stoff ansetzen sollten.
Fokussierung auf wesentliche Belange
Da rund ein Fünftel aller Schüler/ – innen während der Online-Schulzeit kaum den schulischen Aufgaben folgen konnte, teilen viele Lehrkräfte die Meinung, dass der Lehrplan deutlich entschlackt werden müsse. Es gehe nun darum, die Breite des Wissensspektrums zu verringern und mehr Tiefe zu vermitteln. Viele Bildungsforscher, darunter auch Marcel Helbig vertreten den Standpunkt, dass eine Fokussierung im Bildungsbereich unausweichlich sei. Hierzu sollten die Schulen auf den ursprünglichen Lehrplanstand vom Beginn der Pandemiemaßnahmen zurückkehren und Lerninhalte bei Notwendigkeit in das nächste Schuljahr verschoben werden. Andere Experten denken bereits über die Verlängerung des Schuljahres oder über einen Samstagsunterricht nach. Für viele Bereiche gilt augenscheinlich der Leitsatz, dass man Schule neu denken müsse. So könne sich Bildungsforscher Ulrich Kortenkamp auch eine vorübergehende Auflösung von Klassenverbänden vorstellen, um jahrgangsübergreifende Lerngruppen zu bilden, damit vorhandene Defizite besser aufgearbeitet werden können. Der Generalsekretär der Bundesschülerkonferenz, Dario Schramm, forderte dennoch für die Sommerferien ein bundesweites Angebot an Nachhilfemöglichkeiten, welches Schülern und Schülerinnen die freiwillige Möglichkeit einräumen würde, Lernstoffe aufzuarbeiten. In jedem Fall lässt sich als Fazit festhalten, dass für den Bildungsbereich zukünftig ein hohes Maß an Flexibilität und Organisation notwendig sein dürften, um die entstandenen Problematiken aus der Coronazeit wieder in geregelte Bahnen zu lenken.
Weiterführende Quellen zu diesem Thema
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