Zuletzt aktualisiert am 05.10.2024 um 16:51 Uhr, Geschätzte Lesezeit: 5-6 Minuten
Am 17. Januar begann die mündliche Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der Frage, ob Beamte an streikrechtlichen Aktionen teilnehmen dürfen oder nicht. In mehr als sieben Stunden verfolgten die Karlsruher Richter die Ausführungen der teilnehmenden, beschwerdeführenden Parteien, Vertretern der Gewerkschaften ver.di, GEW und des Deutschen Gewerkschaftsbundes sowie den Abgesandten von Bund und Ländern.
Menschenrechtlicher Charakter des Streikrechts
Ausgangspunkt waren die Verfassungsklagen von einigen Lehrkräften, die in verschiedenen Bundesländern an Streikaktionen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) teilgenommen hatten. Mit der Unterstützung von DGB und ver.di hatte die GEW eine gemeinsame Stellungnahme zu der Thematik formuliert. Maßgebend hierfür war eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der entsprechende Streikverbote für Beamte in der Türkei nicht mit der europäischen Menschenrechtskonvention für vereinbar erklärte.
Dem Bundesverfassungsgericht unter der Leitung des Präsidenten Andreas Voßkuhle obliegt bei diesem Sachverhalt die Klärung der sogenannten Koalitionsfreiheit und deren Gültigkeit für einen umfänglichen Rahmen der Beamtenschaft. Die Beachtung der Folgen mit den zusammenhängenden Auslegungen des Grundgesetzes sowie die Verbindung mit den beamtenrechtlichen Grundsätzen und den weiterreichenden wesentlichen Besonderheiten des Streikrechts sind hierbei von großer Bedeutung. Diese stellen in ihrer Gesamtheit auch den menschenrechtlichen Charakter elementarer Ansprüche dar.
So hob das Verfassungsgericht gleich zu Beginn der Verhandlung hervor, dass es nicht leicht zu würdigen sei, ob Beamte streiken dürften oder nicht, da eine ausdrückliche Regelung hierzu weder in Artikel 9, Absatz 3 zur sogenannten Koalitionsfreiheit, noch im Artikel 33, Absatz 5, Grundgesetz, bei den hergebrachten Grundsätzen zum Berufsbeamtentum klar definiert ist. Andreas Voßkuhle, ebenfalls Vorsitzender Richter des 2. Senats führte weiter aus, dass die überwiegende Mehrheit der Verfassungsrechtler ein Streikrecht für Beamte ablehnt, sich aber anhand der europäischen Entscheidung des Gerichtshofs für Menschenrechte eine neue impulsgebende Debatte zur Thematik eingestellt habe, die durchaus eine Konsensprüfung zwischen dem bundesdeutschen Grundgesetz und der geltenden Menschenrechtskonvention notwendig mache.
Auswirkungen
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts zeigte die mögliche Signalwirkung auf, die eine Anerkennung des Streikrechts für Beamte darstellen würde. Es ginge in diesem Zusammenhang um rund 600.000 verbeamtete Lehrer, aber auch um die anderen etwa eine Million Beamten in der Bundesrepublik. Der Argumentation, dass mit einem Streikrecht für Beamte das gesamte Berufsbeamtentum zum Erliegen komme, wollte Andreas Voßkuhle nicht folgen. In der Folge erläuterten zunächst die Beschwerdeführer die enorme Arbeitsbelastung der Lehrkräfte, die nach ihrer Ansicht beispielsweise durch die immer steigende Anzahl von Pflichtstunden enorm gestiegen sei.
Die Regelungen und Entscheidungen in diesem Bereich seien durch die einseitige Vormachtstellung des Dienstherren unanfechtbar, während andere geltende Rechte wie die Fürsorgepflicht des Dienstherren kaum noch von den Beamten wahrgenommen werden. Vertreter der Beschwerdeführung erklärten, dass aufgrund dieser Faktenlage zumindest für die Beamten ein Streikrecht erreicht werden müsse, welche nicht unter den „Funktionsvorbehalt“ des Artikel 33, Absatz 4 Grundgesetz fallen würden. In der Anhörung verteidigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière das Streikverbot für Beamte und sprach hierbei von einem „Grundpfeiler des Beamtentums“, wobei er auch auf den kausalen Zusammenhang zwischen Streikverbot und Alimentationsprinzip verwies.
Der Bundesinnenminister warnte, dass das Beamtentum den nach seinen Worten „prägenden Charakter“ verlieren würde, sollte ein Beamtenstreikrecht verwirklicht werden. Der Beamtenstatus sei nach Auffassung de Maizières ein einheitliches Wertstellungsmerkmal, unabhängig von den Unterschieden, die sich aus hoheitlichen oder nicht hoheitlichen Tätigkeiten ergeben würden und ohne einer gewissen Hervorhebung einer bestimmten Berufsgruppe. Gerade in der Frage bezüglich des Begriffes der „hoheitlichen Tätigkeiten“ sah das Gericht umfangreichen Diskussionsbedarf und begleitete die Debatte, ob sich diese Begriffszuweisung in der heutigen Zeit nicht auf spezifische Aufgaben mit einem besonderen Bedeutungsgrad richten müsste.
Ver.di-Chefjurist entgegnet Treuebruchvorwurf
Innerhalb der Abwägung der Grundsätze des Beamtentums und der sogenannten Koalitionsfreiheit stellte sich während der mündlichen Verhandlung die Frage, ob sich entsprechende Streiks unter Teilnahme von Beamten auf das Erzielen von Tarifvereinbarungen auswirken könnten und ob eventuelle Notdienstvereinbarungen für eine Gewährleistung wichtiger staatlicher Aufgaben ausreichen. Die von den Gegnern des Beamtenstreikrechts angeführte Auffassung, dass die durchgeführten Streiks grundsätzlich politischer Natur seien, wurde von ver.di-Chefjurist Jens Schubert widersprochen. Schubert sah keinen Bezugspunkt zwischen Beschäftigungsverhältnis und einem politischen Streik, sondern sah in einem möglichen Beamtenstreik die generelle Ausrichtung zu Themen der Arbeitszeit, der Vergütung und des Gesundheitsschutzes.
Nach Schubert sei so ein Beamtenstreik immer im Bezug zum Dienstherren, richte sich aber nicht generell gegen diesen, sondern weise auf Verbesserungsmöglichkeiten innerhalb des Bekenntnisses zum Dienstverhältnis hin. Hierbei gehe es auch ver.di um das eindeutige Bekenntnis zum Berufsbeamtentum, aber es gehe auch um einen Spielraum für weitere Ausgestaltungen und eigenständige Vereinbarungen im Rahmen dieses Beamtentums sowie dem Element des Streikrechts als wesentlichen Grundstein einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaftsform. Grundsätzlich bewertete der Bundesinnenminister die eindrucksvollen Ausführungen Schuberts zum Streikrecht positiv, doch sah de Maizière problematischere Auswirkungen hinsichtlich des beamtenrechtlichen Status.
Hoheitlich tätige Beamte weiterhin ohne Streikrecht
Der ver.di-Bundesbeamtensekretär Nils Kammradt schloss eine Besserstellung innerhalb des Alimentationsprinzips von einem gewissen Teil der Beamtenschaft aus und verwies auf den Lösungsansatz, dass es hoheitlich tätig werdenden Beamten weiterhin untersagt bleibt zu streiken. Kammradt ergänzte, dass es aber wenig problematisch erscheine, erzielte Ergebnisse auch auf diese zu übertragen. Aus gewerkschaftlicher Sicht ist eine derartige Option immer auch ein tragender Solidaritätsgedanke. Die kritischen Anmerkungen, dass Streikrecht und das Gebot der Alimentation dafür Sorge tragen, Beamte würden sich zusätzliche Vorteile erstreiten, teilte Kammradt nicht. Er verwies auf die in der Praxis einheitliche Vorgehensweise von Tarifbeschäftigten und Beamtenschaft zum Erreichen gemeinsamer Zielsetzungen. Der ver.di-Vertreter sah gerade in dieser Beurteilung eine Sicherstellung der vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochenen Maßgeblichkeit hinsichtlich der Angemessenheit der Besoldung und einer weiterreichenden Sicherung der allgemeinen Entwicklung zu Preisen und Wirtschaft.
Abschließende Prognose
Innerhalb einer abschließenden Erörterung sah das Verfassungsgericht die vordergründige Wichtigkeit von Auslegungsfragen hinsichtlich der Begriffsdefinitionen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, in Bezug auf Beamtentum sowie den öffentlichen Dienst. Durch eine ausführliche Darstellung erläuterte die Vertreterin für ver.di, DGB und GEW, Professorin Monika Schlachter, die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu den Streikverboten türkischer Beamter. Schlachter analysierte die Begrifflichkeiten des Urteils und definierte die Übertragbarkeit auf das System des öffentlichen Dienstes in der Bundesrepublik.
Im Rahmen dieser Würdigung erfolgte die Klarstellung, dass Kernelemente der öffentlichen Verwaltung, Polizei und Streitkräfte von der Regelung ausgenommen seien und dass sich eine leitende Funktionalität auf das nationale Recht aus den Beschlüssen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ableiten ließe. Die im Laufe des Jahres erwartete Entscheidung der Karlsruher Richter wird das Beamtentum in der Bundesrepublik nicht infrage stellen und wird sich aus den Erfahrungen sowie Entscheidungen langjähriger Rechtssprechungsprozesse herleiten, die in der Vergangenheit eine eher schrittweise Entwicklung beamtenrechtlicher Grundsätze nach sich zogen.
Weiterführende Quellen zu diesem Thema:
- beamte.verdi.de – Bürgerversicherung – Wahlmöglichkeiten für Beamtinnen und Beamte schaffen
- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft
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