Zuletzt aktualisiert am 02.09.2024 um 0:51 Uhr, Geschätzte Lesezeit: 3-4 Minuten
Politiker behaupten, die Integration der enormen Zahl an Flüchtlingen sei machbar. Experten streiten sich noch über das „Wie“. In einer Sache sind sich alle einig. Den Schulen fällt bei der Bewältigung dieser gewaltigen Aufgabe eine Schlüsselrolle zu. Für Lehrerinnen und Lehrer an den Grundschulen bedeutet das: Durchhalten und improvisieren. Aber reicht das, wenn traumatisierte Kinder in die Grundschulen strömen und Dolmetscher, Pädagogen und Therapeuten fehlen?
Willkommen im Land der Schulpflicht
Nach der UN-Kinderrechtskonvention gilt für alle Flüchtlingskinder unabhängig vom Aufenthaltsstatus das Schulbesuchsrecht. Deshalb werden Kinder ohne Deutschkenntnisse in sogenannten Willkommens- oder Übergangsklassen für ein bis zwei Jahre auf den Regelunterricht vorbereitet. Wegen des eklatanten Personalmangels werden Pensionäre wieder ins Klassenzimmer zurückberufen oder man lässt Studenten ihre ersten Lehrerfahrungen machen. Kollegen, die sich in Deutsch als Zweisprache (DaZ) fortbilden lassen, sind hier besonders gefragt. Das Unterrichten ist häufig aufreibend. Viele Flüchtlingskinder sind traumatisiert und verhaltensauffällig. Manche können weder lesen noch schreiben oder nur in einer anderen Schrift. Sie sprechen nicht unsere Sprache und sollen trotzdem zur Schule gehen. Diese Kinder in den Unterricht einzubinden, ist für alle eine enorme Herausforderung.
Bildung ist Ländersache
Die Rede ist von 325.000 neuen Schülern an deutschen Schulen und 20.000 erforderlichen Lehrern. Von dringend benötigten Sozialarbeitern, Dolmetschern und Psychologen. Die Haushalte der Länder können das schon längst nicht mehr finanzieren. Denn Bildung an den Schulen ist immer noch Ländersache und das Kooperationsverbot verhindert, dass der Bund mit Zuschüssen hilft.
Grundschulen sind überlastet
Viele Schulen sind gut vorbereitet und haben bereits gute Erfahrungen mit Vorbereitungsklassen gemacht. Etliche Kinder sind motiviert und lernen gut. Nur die fremde Sprache steht ihnen im Weg. Doch auch da, wo Integration gut funktioniert, stoßen Schulämter an ihre Grenzen. Es reicht nicht, Flüchtlingskinder in die Regelklassen zu setzen und sie mit zusätzlichem Deutschunterricht zu fördern, wenn Sprachlernklassen nicht durchführbar sind. Schulleiter und Elternvertreter warnen davor, dass die Schulen an die Grenzen der Belastbarkeit kommen. Aus Platzgründen sind Erweiterungsbauten oft nicht realisierbar und die Nachfrage nach Containern ist mittlerweile so groß, dass auch diese nur noch schwer zu bekommen sind. In manchen Bezirken werden Flüchtlingskinder bereits in ihren Unterkünften unterrichtet. Doch dauerhafte reine Willkommensklassen erschweren die Integration, weil die Kinder dann unter sich bleiben. Außerdem ist es für den Spracherwerb von Vorteil, wenn die Kinder im Klassenverband lernen.
Spagat im Unterricht
Dort wo Übergangsklassen fehlen oder nicht zustande kommen, werden Kinder ohne Deutschkenntnisse auch in die regulären Klassen gesetzt. Damit steigt nicht nur die Klassenstärke. Flüchtlingskinder brauchen besondere Aufmerksamkeit und intensiven Sprachunterricht. Immer wieder gibt es Situationen, in denen sich Pädagogen zwischen der Betreuung einer ganzen Klasse oder der individuellen Fürsorge eines traumatisierten Kindes entscheiden müssen. Dabei haben viele Kinder noch nie eine Schule besucht und passen vom kognitiven überhaupt nicht in die Klassen. Geht die allgemeine Schulpflicht am Ende zulasten der anderen Schüler?
Reserven werden aufgebraucht
Immer öfter brauchen Schulen das frei verfügbare Stundenbudget auf, das eigentlich dafür gedacht war, Schüler mit Förderbedarf zu unterstützen. Gerade dort wo Willkommensklassen fehlen oder keine Lehrer eingestellt werden, werden diese Stundenkontingente für Flüchtlingskinder eingesetzt. Wenn Lehrer auf diese Art abgezogen werden, sinkt die Qualität der Schule. Die Leidtragenden sind Schüler, die es ohnehin im Unterricht schwer haben, aus bildungsfernen Haushalten kommen, oder Migranten, die schon längere Zeit in Deutschland leben. Der Versuch, den Bedarf auf diese Weise zu decken, wird zu Verteilungskonflikten führen und die Stimmung an den Schulen rapide verschlechtern.
Die Politik erwartet ein Kunststück, das die wenigsten Schulen leisten können. Es ist an der Zeit, endlich ein gutes Konzept zu entwickeln. Ein Konzept, das den Anspruch auf Bildung für alle impliziert. Ein Konzept, das Integration und Inklusion überhaupt möglich macht. Ein Konzept, das die notwendige Finanzierung sicherstellt. Denn Improvisation ist keine Lösung mit Bestand.
Weiterführende Quellen zu diesem Thema:
- spiegel.de: Flüchtlinge im Unterricht: Aufgefangen, durchgehangen
- welt.de: Lernschwache Schüler leiden unter Flüchtlingskrise
- spiegel.de: Flüchtlingskinder an Schulen: So wird das nichts mit der Integration
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