Zuletzt aktualisiert am 06.02.2025 um 11:43 Uhr, Geschätzte Lesezeit: 4-5 Minuten
Immer mehr Lehrer leiden an psychischen Erkrankungen. Hierfür sind viele Faktoren verantwortlich. Unmotivierte und verhaltensauffällige Schüler, überforderte, uneinsichtige Eltern und selbst soziale Medien erzeugen Stress und Depressionen. Die Problematik ist seit Jahren bekannt und durch zahlreiche Studien belegt, wobei die Anzahl der betroffenen Lehrer mit psychischen Störungen bis hin zum Burn-out stetig zunimmt.
Ursachen und Analyse
Dr. Gerhard Hildenbrand, Klinikdirektor für psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Lüdenscheid in Nordrhein-Westfalen sieht als Hauptursache für die zunehmenden Erkrankungen von Lehrern Stress und die Folgeerkrankungen, die damit verbunden sind. Herz- und Kreislaufbeschwerden, hoher Blutdruck, Schmerzentwicklungen sowie seelische Störungssymptome wie Angstzustände, Depressionen und Burn-out. Der steigende Druck an den Schulen verbunden mit einer immer größer werdenden Anzahl von Kindern, von denen viele verhaltensauffällig sind und die wachsenden Aufgaben konfrontieren viele Lehrkräfte mit immer mehr Frustrationserlebnissen.
Nach der Aussage von Dr. Hildenbrand ergeben sich durch diese Art der Erkrankungen längere Fehlzeiten der Lehrer und in einigen Fällen begründen gerade die psychischen Störungen ein endgültiges Ausscheiden vom Lehrberuf. Hierdurch entsteht ein Teufelskreis, der die ohnehin dünne Personaldecke bei den Lehrern weiter schwächt und die Belastungsgrenze für die im Dienst verbliebenen intensiviert. Allein in Nordrhein-Westfalen lag die Tagesquote der erkrankten Lehrer für das Jahr 2016 bei 6,3 Prozent.
Der Klinikleiter stellte weiter fest, dass an manchen Schulen Lärmbedingungen herrschen, die weit über die Toleranzstandards bei der Industrie hinausgehen. Außerdem sind die Aufgabenbereiche der Lehrer mittlerweile so anspruchsvoll und zeitintensiv, dass kaum noch Zeit für eine intensive Unterrichtsvorbereitung bleibe. Das gängige Vorurteil, Lehrer arbeiten ja nur am Vormittag und haben dazu noch reichlich Ferien, lässt Dr. Hildenbrand nicht gelten, da es überhaupt nicht zutrifft. In der Regel haben Lehrer Arbeitswochen mit über 50 Stunden und haben gegenüber anderen Berufen kaum Pausen, in denen sie sich zurückziehen können, da sie selbst diese Zeiten mit Aufsichtspflichten oder Gesprächen mit Eltern verbringen. Umfassend müssen Lehrer dann noch Wissen und Lernschritte vermitteln, pädagogische Erziehungsaufträge übernehmen, zwischenmenschliche Problematiken beruhigen und schlichten sowie die schulische Organisation und Verwaltung abdecken.
Unzureichende Berufsvorbereitung
Am auffälligsten sind Disziplindefizite und Motivationsschwächen an den Hauptschulen. Hier finden sich viele Kinder mit Lernschwächen, Flüchtlingskinder und Kinder aus zerrütteten Problemfamilien, die den Lehrern besondere Schwierigkeiten bereiten. Der Anteil der Lehrkräfte, die sich entsprechend ungenügend auf den Beruf vorbereitet sehen, liegt auch zu einem großen Teil deshalb bei nunmehr 40 Prozent. Nach Ansicht von Dr. Hildenbrand ist die fachliche Qualifikation und Kompetenz nicht ausschlaggebend für dieses Mangelgefühl, sondern eher die unzureichende Erfahrung.
Nur Erfahrung gewährleistet den souveränen Umgang mit problematischen Konfliktsituationen während des Unterrichts. Mit der nötigen Gelassenheit, Vorbereitung auf entsprechende Gegebenheiten und Routine kann der Lehrer aggressiven, unmotivierten und provozierenden Schülern begegnen. Auch komplizierte Gespräche mit überforderten, erbosten oder anspruchsdenkenden Eltern lassen sich so besser bewerkstelligen. Dennoch ist es nach den Erfahrungen von Dr. Hildenbrand nicht so, dass vor allem jüngere Lehrer psychologische Betreuung und Hilfe suchen. Der Großteil seiner Patienten hat 50 Lebensjahre überschritten.
Problemverdrängung
Die Jüngeren scheuen eher die Inanspruchnahme einer psychotherapeutischen Behandlung, da sie Angst haben, dieses könnte Auswirkungen auf ihr berufliches Weiterkommen haben. Im Rahmen einer bevorstehenden Verbeamtung kann eine solche psychische Erkrankung ebenfalls ein Hindernis darstellen. Bei den älteren Lehrern spielt dieser Aspekt oft keine Rolle mehr. Generell haben die Regelungen hinsichtlich der Verbeamtung einen realitätsfernen Background, da es nach Meinung des Psychotherapeuten eigentlich genau gegensätzlich sein müsste und eine Verbeamtung infrage gestellt werden sollte, wenn sich ein Betroffener keiner Therapie unterziehen möchte.
Die große Mehrheit, versucht die Problematik zu verdrängen. Oft warten Erkrankte und auch die behandelnden Hausärzte viel zu lang, bis eine psychotherapeutische Maßnahme beginnt. Der Klinikleiter bestätigt aus eigener Erfahrung, dass viele Erkrankte bereits seit Jahren über Symptome klagen, sich aber immer wieder zur Arbeit durchgerungen haben. Eine schlechte Voraussetzung für den Heilungsprozess, da die Behandlung dann einen deutlich längeren Zeitraum beansprucht und einen erheblichen Mehraufwand verlangt.
Die Behandlung
Die Behandlung beginnt mit mehreren Diagnosegesprächen, um den genauen medizinischen Hintergrund der Erkrankung einzugrenzen. Oft reichen hier schon wenige Termine aus, um weiterführende Lösungsmöglichkeiten zu erörtern und einzuleiten. Bei einer gewissen Anzahl der Erkrankten spielt auch das private Umfeld eine wesentliche Rolle, welches durchaus auch Ursache für eine berufliche Depression sein kann. Es gibt genügend Menschen mit einem hohen Anspruchsdenken und weitreichenden Idealvorstellungen. Viele können Aufgaben nicht abgeben oder verteilen und kümmern sich selbst um alles. Alle diese individuellen Persönlichkeitsbilder und Verhaltensweisen gilt es im Rahmen der Therapie herauszufiltern, und mögliche Fehlentwicklungsschritte zu korrigieren.
Der gemeinsame Lösungsweg zwischen dem Erkrankten und dem Therapeuten ist hierbei wesentlich. Eine durchschnittliche ambulante Psychotherapie dauert in der Regel zwischen 25 und 50 Sitzungen, also ein gutes Jahr. Im Endergebnis steht im besten Fall die Wiedereingliederung in den Beruf, was bei etwa 80 Prozent der Betroffenen auch gelingt. Nach Dr. Hildenbrand gibt es keine genaue Langzeitstatistik, aber nach seiner Einschätzung benötigen 10 bis 15 Prozent der Betroffenen zu einem späteren Zeitpunkt nochmals eine psychologische Beratung. Ein Rückgang der momentanen Stressbelastungen und damit verbundenen Erkrankungen sieht Dr. Hildenbrand aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Folgen nicht.
Weiterführende Quellen zu diesem Thema:
- wp.de: Freche Schüler, garstige Eltern – Was Lehrer krank macht
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