Zuletzt aktualisiert am 05.10.2024 um 20:51 Uhr, Geschätzte Lesezeit: 7-8 Minuten
Nach den Sommerferien steht das neue Schuljahr vor der Tür und die Bundesländer werden wiederholt Schwierigkeiten haben, alle offenen Stellen besetzen zu können. Die verschiedenen Werbekampagnen, vielerorts auch im Ausland, laufen auf Hochtouren und zielen darauf ab, Fachkräfte sowie Quereinsteiger für den Lehrberuf zu gewinnen. Besserung scheint auch in den kommenden Jahren nicht in Sicht zu sein, obwohl bereits einige Anreize und höhere Kapazitäten bei der Ausbildung geschaffen wurden. Welche Maßnahmen und Veränderungen streben die einzelnen Länder an und wo fehlt es besonders an Lehrern/- innen? Fragen sowie Antworten, welche in den nachfolgenden Informationen zur Thematik erläutert und zusammengefasst werden.
Zusammenfassende Modellrechnungen und Prognosen
Die letzten Jahre im Bildungssektor waren davon geprägt, dass die Bundesländer offene Lehrerstellen nicht mehr durch ausgebildete Fachkräfte besetzen konnten. Viele Kultusminister versuchten den Mangel mit der Einstellung von immer mehr Quereinsteigern/-innen auszugleichen, doch auch Maßnahmen dieser Art sorgten zumeist nicht für die zeitgerechte Verfügung des ausreichenden Lehrkräftepersonals an den Schulen. Nach der Datenermittlung und Analyse der Kultusministerkonferenz (KMK) von Dezember des Jahres 2020 werden die Bildungseinrichtungen in der Bundesrepublik auch in den kommenden Jahren weiter unter dem Lehrkräftemangel leiden. Eine entsprechende Modellrechnung der einzelnen Bundesländer zeigt das Angebot und den Einstellungsbedarf von Lehrern/- innen bis zum Jahr 2030 auf.
Den größten Bedarf an Lehrkräften wird es demnach oberhalb der Grundschule in der Sekundarstufe I geben. Benötigt werden vor allem Lehrerinnen und Lehrer aus den Bereichen Physik, Chemie, Mathematik sowie Musik. Ausgehend von der aktuellen Prognose könnte es zumindest gelingen, die Engpässe ein wenig zu verkleinern. Fehlen derzeit 4.770 Lehrerstellen in diesem Segment, so verringert sich die Anzahl bis zum Jahr 2030 auf rund 1.300. Für die Berufsschulen ergeben die Modellrechnungen ein jährliches Defizit von 1.000 Lehrkräften. Entgegen dem Mangel stellt sich bei den Gymnasien ein Überangebot dar, welches im Durchschnitt mit jährlich etwa 2.200 Lehrkräften ausmacht. Bis zu Jahr 2025 werden an den Grundschulen pro Jahr noch durchschnittlich 1.700 Lehrerinnen und Lehrer fehlen, danach gehen die Analysen von einer Trendwende aus, sodass sich auch hier ein Überangebot entwickeln könnte. Da etliche Modellrechnungen der Kultusministerkonferenz in den vergangenen Jahren häufig nicht eingetreten sind und fehlerhafte Prognosen darstellten, bezweifeln viele Bildungsexperten die positiven Einschätzungen für den Grundschulbereich.
Differenzierung und Wettbewerb
Etwa 11 Millionen Schüler/- innen besuchen aktuell die rund 40.000 Schulen und Berufsschulen der Bundesrepublik und werden dabei von mehr als 800.000 Lehrkräften unterrichtet. Der in der jüngeren Vergangenheit aufgetretene Lehrkräftemangel im Bildungsbereich wird auf die veränderten Geburtenzahlen und auf die gestiegene Zuwanderung zurückgeführt. Zeitgleich gingen in nahezu allen Bundesländern eine hohe Anzahl an Lehrkräften in den Ruhestand, für die es versäumt wurde, rechtzeitig Nachwuchs zu generieren. Im Wettbewerb neue Lehrerinnen und Lehrer für den Schuldienst einzustellen, setzten vor allem die ostdeutschen Länder und die Bundeshauptstadt im extrem hohen Maße auf Quereinsteiger/- innen. So betrug im August des Jahres 2020 deren Einstellungsquote allein in Berlin 40 Prozent. Im Land Brandenburg waren es 34 Prozent und in Mecklenburg-Vorpommern 30 Prozent.
Quer- und Seiteneinstieg in den Lehrberuf
Schon jetzt ist die Sorge hinsichtlich des neuen Schuljahres bei den Berliner Schulleitern und Schulleiterinnen groß. Im Rahmen einer Pressekonferenz mahnte die Vorsitzende des Interessenverbandes Berliner Schulleitungen (IBS), Astrid-Sabine Busse, die Lehrerknappheit Berlins an und wies darauf hin, dass es sich Jahr für Jahr schwieriger gestalten würde, die entsprechenden Stellen zu besetzen. Die Hauptforderung des Verbandes an die Adresse der Politik: Lehrkräfte müssten umgehend wieder verbeamtet werden! Im Hinblick auf die anstehenden Pensionierungszahlen von Lehrkräften und der stetig steigenden Anzahl der Schüler/- innen sei der aufkommende Bedarf von Lehrern/- innen einfach nicht mehr abzudecken, so Busse.
Das Land Sachsen-Anhalt hatte für die Ausschreibungen im Februar und März dieses Jahres erstmals private Agenturen eingeschaltet, welche auch gezielt im Ausland nach Lehrkräften und möglichen Seiteneinsteigern/- innen suchten. Nach Auskunft des zuständigen Ministeriums seien so etwa 100 Bewerber/- innen in das Aufnahmeverfahren gelangt. In einigen Fällen sei es in diesem Zusammenhang notwendig, vorhandene Abschlüsse durch die Kultusministerkonferenz überprüfen zu lassen. Wesentlich ist auch, dass die einzelnen Bundesländer die Begriffe „Quereinstieg“ und „Seiteneinstieg“ in unterschiedlicher Weise interpretieren. Datenerhebungen und Zahlen sind aus diesem Grund schwer vergleichbar. In der Regel gilt, dass Quereinsteigende zwar nicht über ein abgeschlossenes Lehramtsstudium, wohl aber über einen Universitätsabschluss verfügen. So wurden auch in den westdeutschen Ländern, wenn auch in einem geringeren Umfang, offene Lehramtsstellen mit Quereinsteigern/- innen besetzt. In Schleswig-Holstein betrug deren Anteil beispielsweise 11 Prozent und in Niedersachsen waren es 6 Prozent.
Bedarfsstudien
Besonders eklatant macht sich der Lehrkräftemangel seit geraumer Zeit an den weiterführenden Schulen im Bereich der so bezeichneten MINT-Fächer bemerkbar. Der renommierte Professor für Bildungsforschung, Klaus Klemm, hatte bereits im Jahr 2014 eine Prognose-Studie zu den Lehrbereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften sowie Technik erarbeitet und den erheblichen Bedarf an Fachkräften für dieses Bildungssegment dargelegt. Eine aktuelle Studie des Wissenschaftlers aus dem Januar 2021, welche sich auf das Beispiel des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen bezieht und im Auftrag der Telekom-Stiftung durchgeführt wurde, zeigt eine noch deutlich negativere Entwicklung dieses Bedarfsbereiches. Die Problematik: Auch in den MINT-Fächern wird bis zum Schuljahr 2030/31 jede dritte Lehrkraft aus Altersgründen den Schuldienst verlassen. Aufgrund der steigenden Schülerzahlen sieht der Bildungsforscher allein für Nordrhein-Westfalen einen jährlichen Bedarf an 3.300 neuen Lehrkräften für die MINT-Fächer in den kommenden zehn Jahren. Blickt man auf die momentanen Studienbelegungen für diesen Lehramtsbereich, werden es allerdings nur etwa 1.100 Absolventen/- innen sein.
Qualifizierungen und Möglichkeiten zum Quereinstieg
Die grundlegenden Kriterien für den Seiten- und Quereinstieg werden in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich ausgelegt. Seiteneinsteiger/-innen verfügen dabei in der Regel über ein fachrelevantes Studium, steigen dann aber ohne den üblichen Vorbereitungsdienst in den allgemeinen Schulbetrieb ein und sollen in diesem Zeitraum eine besondere Unterstützung erhalten. Die Weiterqualifizierung erfolgt berufsbegleitend und mit einem zusätzlichen Einführungskurs. Allgemeine Möglichkeiten und Anforderungen erfahren Interessierte beim jeweiligen Kultusministerium der Länder.
Eine weitere Maßnahme der Bundesländer, die Attraktivität des Lehrberufs besonders an den Grundschulen zu steigern, war die Anpassung der Gehaltsstrukturen an die Entlohnung der Lehrkräfte der Gymnasien und Sekundarschulen. Nahezu alle Bundesländer gewährleisten derzeit die Eingangsbesoldung der Gruppe A 13. Zuletzt hatte auch Thüringen eine derartige Umstellung beschlossen, welche zum August 2021 wirksam wird. Das Land Niedersachsen zahlt seinen Grundschullehrern/- innen derzeit noch eine Zulage von 97 Euro im Monat, aber auch hier gibt es Überlegungen zu einer Gehaltsanpassung.
Bestandsaufnahme zur Lehrkräftebesoldung
Über Anpassungen würden sich auch die Lehrkräfte der Sekundarstufe I freuen, da diese noch nicht in allen Bundesländern von den gleichen Lohnzahlungen ihrer Kollegen/- innen an den Gymnasien profitieren. Eine Bestandsaufnahme zur Lehrkräftebesoldung in den einzelnen Bundesländern hatte im Oktober 2020 die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) durchgeführt und veröffentlicht. Darin enthalten ist die gewerkschaftliche Forderung nach einer einheitlichen Besoldung aller Lehrkräfte, unabhängig von der jeweiligen Schulart, nach Besoldungsgruppe A 13. Eine Forderung, die aktuell auch die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, Simone Fleischmann, erhoben wurde. Zusätzlich rief der Verband für wesentlich mehr Flexibilität im Rahmen der Lehrer- und Lehrerinnenbildung auf.
Das Einstiegsgehalt für Lehrkräfte in den einzelnen Bundesländern unterscheidet sich zum Teil noch immer stark und auch die allgemeinen Arbeitszeiten, die Pflichtstunden sowie die grundlegenden Aufgaben können variieren. Die letzte Erhebung zu Vergleichszwecken bei den Einstiegsgehältern stammt aus dem Schuljahr 2019/2020 und wurde von einer Online-Lernplattform durchgeführt. Hiernach zahlte das Land Berlin mit rund 5.450 Euro brutto in der Besoldungsgruppe E 13 – Stufe 5 das höchste Gehalt. Berlin verbeamtet seine Lehrkräfte nicht und so versuchte das Land beim Wettbewerb um Stellenbesetzungen diesen Nachteil auszugleichen. Andere Bundesländer besoldeten einsteigende Grundschullehrer/- innen im Durchschnitt mit rund 3.500 Euro brutto. Schlusslicht in diesem Bereich war das Land Hessen mit 3.373 Euro brutto in der Gehaltsgruppe A 12 – Stufe 1.
Weitere länderspezifische Maßnahmen zur Lehrkräftegewinnung
Viele Kultusministerien der Länder haben in der jüngeren Vergangenheit besondere Anreize geschaffen, um vor allen für die Schulen in ländlichen oder unpopulären Regionen Lehrkräfte zu gewinnen. Hierzu gehören beispielsweise die Zahlung von Zulagen oder auch die Gewährleistung von Umzugshilfen. Zuletzt hatte der thüringische Landtag im März 2021 einem neuen Zulagensystem für angehende Lehrkräfte in strukturschwachen Landesregionen zugestimmt. Für Lehrkräfte aus dem Ausland, beispielsweise Personen, die als Flüchtlinge in die Bundesrepublik migrierten, hatte das Land Brandenburg im Jahr 2016 unter Ausarbeitung der Universität Potsdam ein besonderes Qualifizierungsprojekt gestartet, welches den Weg in das Brandenburger Schulsystem ermöglichen sollte. Die Akademiker/- innen mussten bereits in ihrem Herkunftsland als Lehrkräfte gearbeitet haben und durchliefen ein achtzehn Monate andauerndes Programm mit Sprachkursen, einem Schulpraktikum und pädagogischen Seminaren.
Nach einer zweijährigen Assistenzlehrkraftzeit oder innerhalb der Tätigkeit als pädagogische Unterrichtshilfe schloss sich eine Weiterqualifizierung an. Etliche Teilnehmer scheiterten seinerzeit jedoch bereits an den erheblichen Hürden beim Einstieg. Für viele Experten und verantwortliche Politiker liegen die Wurzeln des Lehrkräftemangels bereits im Ausbildungsbereich. Schon seit mehreren Jahren erhöhen die Bundesländer stetig die entsprechenden Universitätskapazitäten und dennoch wird vielerorts nicht bedarfsgerecht ausgebildet. Zu diesem Ergebnis gelangt auch eine Studie zur Lehrkräftebildung 2021 des ehemaligen Berliner Staatssekretärs für Bildung, Mark Rackles. Viele Studierende brechen demnach die Ausbildung ab oder wechseln den Studienbereich. Stieg die Zahl der Studienplätze für das Lehramt in den vergangenen Jahren um rund 17 Prozent, so sank parallel die Zahl der Absolventen/- innen. Bildungsexperte Rackles plädierte in diesem Zusammenhang für ein länderübergreifendes externes Bildungsgremium, welches sich den Problematiken unpolitisch annehmen solle. Eine derartige Instanz könnte Wirklichkeit werden, da die Kultusministerkonferenz im Herbst des Jahres 2020 die Einrichtung einer ständigen „Wissenschaftlichen Kommission“ beschlossen hat.
Weiterführende Quellen zu diesem Thema
- deutsches-schulportal.de – Lehrermangel bleibt bundesweit ein Problem
- WWW.GEW.DE – Bezahlung von Lehrerinnen und Lehrern
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