Zuletzt aktualisiert am 03.10.2024 um 4:51 Uhr, Geschätzte Lesezeit: 3-4 Minuten
Jahrelang wurden Tausende Bewerber für das Grundschulamt von den Berliner Hochschulen abgelehnt, ohne dass der Berliner Senat sich der Problematik annahm. Nun fehlt es besonders an Grundschullehrern und an den Berliner Schulen nimmt die Anzahl der Quereinsteiger weiter deutlich zu.
Bildungspolitisches Niemandsland
Durch die politischen Versäumnisse der Vergangenheit und durch ein viel zu spätes Eingreifen der für die Bildungspolitik Verantwortlichen wurde in Berlin erst ab dem Jahr 2016 darauf gedrängt, dass die Hochschulen verstärkt Kapazitäten für die Grundschullehrerausbildung zur Verfügung stellen müssen. Hierbei stellt sich wie immer in der Bundeshauptstadt die Thematik einer entsprechenden Finanzierung. Bereits zwei Jahre zuvor begann Berlin, massiv um Quereinsteiger zu werben. Noch letzte Woche lobte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) die Alternative im Hinblick auf die in Berlin umgesetzte Quereinsteigerpraxis.
Noch zu Beginn des neuen Schuljahres führte diese Praxis in Berlin dazu, dass etwa 40 Prozent aller neu zu besetzenden Lehrerstellen durch Quereinsteiger belegt wurden. Durch weitere nachträgliche Einstellungsmaßnahmen stieg diese Zahl in den letzten vier Wochen nochmals auf 46 Prozent. Noch dramatischer stellt sich die Situation bei den Grundschulen dar, wo die Quote aktuell bei 56,5 Prozent liegt. Die neuen Zahlen sind durch eine entsprechende Auflistung der Bildungsverwaltung belegt. Die Auswirkungen dieser Notmaßnahme sind noch schwer abzuschätzen. Eine substanzielle Fehlentwicklung könnte sich besonders an den Brennpunktschulen ergeben, wo vermehrt Quereinsteiger ohne langjährige Erfahrung und ohne eine fundierte, pädagogische Ausbildung zum Einsatz kommen.
Bezirke und Brennpunkte
Im gesamten Jahr 2016 mussten in Berlin 1000 Grundschullehrerstellen besetzt werden, für die lediglich 175 hierfür ausgebildete Lehrer gewonnen werden konnten. Die Fehlstellen mussten durch Quereinsteiger und von Lehrkräften aus anderen Bereichen abgedeckt werden. Seit Beginn des Schuljahres 2017/2018 werden von den 944 eingestellten Quereinsteigern rund 600 als Lehrkräfte an sogenannten Brennpunktschulen eingesetzt. Bei den Grundschulen stellt sich die Situation so dar, dass in den Bezirken Mitte und Neukölln über 70 Prozent der Lehrkräfte Quereinsteiger sind. Im Bezirk Berlin-Mitte wurden nach Angaben der Bildungsverwaltung 126 der 944 Quereinsteiger in ihr neues Aufgabengebiet eingewiesen.
Der extreme Lehrkräftemangel wird drastisch am Beispiel von Marzahn-Hellersdorf deutlich. Nur 3 von 66 neuen Grundschullehrern sind hier für diese Schulform ausgebildet. Marzahn-Hellersdorf ist zugleich ein erheblicher Brennpunktbezirk, in dem in der Vergangenheit etliche Gewaltvorfälle an den Schulen für Aufsehen sorgten. Für diese pädagogischen Brandherde ließen sich kaum ausgebildete Lehrkräfte gewinnen. 95 neue Quereinsteiger sind nun für diesen Bezirk abgestellt. Weitere „Neulehrer“ sind wie folgt auf die Problembezirke Spandau (124), Neukölln (108) und Pankow (71) aufgeteilt. Grundsätzlich hat innerhalb Berlins nur jede sechste Lehrkraft die passende Ausbildung zum Verwendungsbereich.
Mangelnde Konzeption und Fehlbesetzungen
Heftige Kritik am bildungspolitischen Konzept des Berliner Senats äußerte der Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Tom Erdmann. Nach seiner Meinung müsse die qualifizierte Weiterausbildung von Quereinsteigern Grundaufgabe aller Berliner Schulen sein. Die neuen Lehrkräfte unter dem enormen Druck eines sehr schwierigen Umfeldes vermehrt an Brennpunktschulen einzusetzen, würde zu Überlastungen und Überforderungen führen. Viele der Quereinsteiger könnten so den Lehrberuf auch wieder abbrechen oder aufgeben. Bildungssenatorin Scheeres verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass es in einer Mangelsituation nicht möglich sei, die neu gewonnenen Lehrer gleichmäßig auf alle Schulen zu verteilen und betonte den für die Einstellungen zuständigen Verantwortungsbereich der jeweiligen Schulleiter.
Auch wenn das Berliner Modell besonderen Umständen geschuldet ist, so scheint eine mangelnde Gesamtkonzeption offensichtlich. Bei den Grundschulen liegt die Einstellungsquote bei allen Bezirken zusammenfassend bei 16 Prozent im Bereich der für dieses Lehramt ausgebildeten Fachkräfte. Selbst für die Ausbildung entsprechender Referendare fehlt es an erfahrenen Grundschullehrern. Aufgestockt wurden die Grundschul-Fachbereiche, neben den Quereinsteigern, durch ehemalige Pädagogen aus dem DDR-Schulbetrieb für untere Klassen, sogenannte LuK-Lehrer sowie durch Oberschullehrer. Ein weiterer zu berücksichtigender Aspekt ist, dass rund zwei Drittel aller Quereinsteiger kein Lehramtsstudium vorweisen können und dass diese zunächst lediglich ein Schulfach in den neuen Beruf mit einbringen.
Weiterführende Quellen zu diesem Thema:
- Tagesspiegel.de: Berlin: Zahl der Quereinsteiger für das Lehramt steigt weiter an
Bewertung abgeben
( Abstimmen)