Zuletzt aktualisiert am 01.10.2024 um 8:51 Uhr, Geschätzte Lesezeit: 3-4 Minuten
Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann setzt ein klares Statement zum grundlegenden Umbau des bundesdeutschen Sozialsystems. Die Auswirkungen der Corona-Krise haben seiner Auffassung nach deutlich aufgezeigt, dass viele Bürger nicht dem Ordnungsschema der sozialen Sicherung entsprechen. Nun sei es dringend geboten zu handeln und ein einheitliches Versicherungssystem zu etablieren, in welches alle Bürger, auch die Beamten, einzahlen.
Bereits Anfang Mai erklärte der DGB-Chef gegenüber den Medien seine Forderung zum Umbau des Sozialsystems. Hoffmann betonte dabei, dass die Corona-Pandemie etliche Schwachstellen im derzeitigen Sicherungssystem offenbart habe. Im Bereich der Solo-Selbstständigen stünden nicht nur viele vor dem wirtschaftlichen Kollaps, sondern wären gänzlich ohne Absicherung. Eine für den Gewerkschaftsbund absolut zu befürwortende Antwort wäre die Schaffung der Bürgerversicherung. In diese Art der Pflichtversicherung sollten zukünftig alle Beschäftigten einzahlen und alle anderen Systeme, also auch Renten- , Kranken- , Pflege- und Arbeitslosenversicherung in ihr aufgehen. Um dem neuen Sozialversicherungssystem eine solide Basis und eine Perspektive zu gewährleisten, regte Hoffmann an, dass auch die Beamten in die Bürgerversicherung einbezogen werden.
Bertelsmann-Studie pro Bürgerversicherung
Auch eine kürzlich veröffentlichte Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung fordert ein zügiges Ende der Zwei-Klassen-Gesellschaft im Bereich der medizinischen Versorgung und spricht sich für die Bürgerversicherung aus. Die Analyse der Studie hatte unter anderem thematisiert, dass eine generelle Absicherung aller Bürger in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) einen finanziellen Überschuss von rund 9 Milliarden Euro im Jahr ergeben würde. Höhere Beitragseinnahmen durch den Sektor der Privatversicherten könnten in der Folge rund 38,6 Milliarden Euro für das System generieren. Das nach den Ergebnissen der Studie für alle bessere Solidarprinzip würde die jährlichen Beitragszahlungen für alle Mitglieder senken. Eine Grundvoraussetzung für diesen Weg wäre allerdings, dass auch Gutverdiener, mit hohen Einkünften bemessene Selbstständige und Beamte in das System integriert werden.
Aart de Geus, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann-Stiftung, hält nicht nur aufgrund der neuen Studienergebnisse das bisherige Zweiklassen-System der Krankenversicherung für problembehaftet und ineffizient. In der Zusammenlegung der Systeme seien keine verfassungsrechtlichen Bedenken erkennbar und es liege allein im Gestaltungsfeld der politisch Verantwortlichen, entsprechende Reformen durchzusetzen. Die Sozialdemokraten setzen sich schon seit längerer Zeit für eine Bürgerversicherung ein und sehen ihre Forderung durch die Studienergebnisse bestärkt. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken betonte in diesem Zusammenhang den Wert der Bürgerversicherung als Solidargemeinschaft für alle. Nun müsse endlich das Ende des Zwei-Klassen-Systems erfolgen, welches nach der Bertelsmann-Studie am Ende für alle sogar noch kostengünstiger sei.
Pro und Contra
Wie schon zuvor hat die Studienveröffentlichung und die damit einhergehenden Forderungen eine heftige Pro- und Contra-Debatte zur Bürgerversicherung entfacht. So hält der Volkswirtschaftsprofessor Friedrich Breyer von der Universität Konstanz eine mögliche Abschaffung der Privaten Krankenversicherung allein rechtlich für äußerst strittig. Hierbei sei schon das verfassungsgemäße Grundrecht der Berufsfreiheit (Artikel 12 GG) berührt. Breyer sieht in dem Vorlegen der neuen Bertelsmann-Studie das Schüren einer deplatzierten Neiddebatte und fordert stattdessen als durchsetzungsfähige Alternative eine sogenannte „Kopfpauschale“. Bei diesem Modell würde der Einkommensteuertarif moderat angehoben werden, um jeden Haushalt im Bereich der Beitragszahlungen über das Finanzamt zu entlasten.
Für den SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach ist klar, dass eine Bürgerversicherung mit der Union nicht zu verwirklichen sei, auch wenn es längst gesichert ist, dass die Private Krankenversicherung Mehrkosten für alle Beitragszahler bedeutet. Zudem habe die Zweiklassen-Medizin für eine Fehlverteilung der Ärzteschaft und für eine Überversorgung der Privatpatienten gesorgt. Lauterbach ist sicher, dass eine Abschaffung längst erfolgt wäre, würde die Politik nicht der übermächtigen Versicherungs- und Ärztelobby unterliegen. Eine erstrebenswerte, solidarische Bürgerversicherung müsste auch eine Vollversicherung im Bereich der Pflege beinhalten. Eine Diskussion, die noch länger anhalten wird.
Weiterführende Quellen zu diesem Thema
- welt.de – DGB-Chef fordert Bürgerversicherung für alle
- handelsblatt.de – DGB-Chef Reiner Hoffmann äußert Sympathie für Konsumgutscheine
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